Museum international 233/234 - Le patrimoine culturel des Migrants
Ein Doppelheft der Zeitschrift "Museum international", herausgegeben von der UNESCO, ist anlässlich der Eröffnung der "Cité national de l'histoire de l'immigration" in Paris, dem Thema Migration und ihre Darstellung im Museum gewidmet.
In seinem Artikel "L'historien dans la Cité: comment concilier histoire et mémoire de l'immigration?" unterstreicht der Historiker und Soziologe Gérard NOIRIEL einen der wesentlichen Grundsätze des neuen Museums: Ziel sei es, die Geschichte der Immigrationund nicht jene der Immigranten darzustellen. Sie soll den Besuchern den historischen Prozess verständlich machen, wie Personen aus allen Weltgegenden integrale Mitglieder der nationalen aktuellen Gesellschaft geworden sind. Man könne nicht einerseits Integration verlangen und gleichzeitig einen Erinnerungskult einzelner Gruppen fördern, der sich auf eine als unveränderlich angesehene "Immigrantenkultur" bezieht. NOIRIEL weiss aber auch aus eigener langjähriger Erfahrung, wie kompliziert die Umsetzung eines solchen Konzeptes sein kann, sind doch Geschichte und Erinnerung oft widersprüchlich...
Hélène LAFONT-COUTURIER, Direktorin der CNHI, beschreibt die Schwierigkeiten eines Museums das a priori ohne Sammlung entstand, "Le musée national de l'histoire de l'immigration: un musée sans collections". Neben Archivalien haben die Konzeptoren des Museums mehrere Themenbereiche gezielt gesammelt: Dinge die man von "hier" nach "dort" mitnimmt; Wissen, know-how, Bildung und Berufserfahrung; Immaterielles "Gepäck" (Gewohnheiten, Einstellungen, Glaubensvorstellungen, Träume, Mythen); individuelle Berichte und Bilddokumente. Einen wichtigen Platz nehmen die Werke zeitgenössischer Künstler ein: neben Installationen die oft komplexe Zusammenhänge veranschaulichen können, sind hier vor allem Fotografen zu nennen, die in Bildserien festhalten was oftmals als Einzelphänomen gesehen wird. Immigranten soll es so möglich werden, eigenes Erleben in einen grösseren Kontext einzuschreiben.
"Comment concilier l'inconcliable: la place de l'ethnologue dans le musée de la Cité nationale de l'histoire de l'immigration", wie kann man Unvereinbares vereinbaren, fragt Fabrice GROGNET und meint damit die Verbindung von Ethnologie und Geschichte im musealen Kontext. Er erwartet sich von der neuen Institution einen Dialog zwischen Vergangenheit und Aktualität in Sammlungspraxis und Ausstellungspolitik.
Die konkrete Umsetzung des Museumskonzeptes ist der Inhalt des Beitrages von Pascal PAYEUR und Lydia ELHADAD, "Repères, une exposition permanente, deux cents ans d'histoire de l'immigration". Das Ziel, den Besucher in die Geschichte der Immigration einzubinden, kollektives Geschick and individuelles zu binden, setzen sie in einem offenen Parcours um, der eine Abfolge von emotionellen und pädagogischen Erlebnissen vorsieht, in die der Besucher förmlich "eintauchen" soll. Angeregt durch Jacques Hainards Postulat, dass eine "Ausstellung ein intensives Erlebnis einer kollektiven Erfahrung" sein sollte, stellen Bilder, Installationen, Stimmen, Lebensfragmente den Einstieg dar. Einzelschicksale verbinden sich zum kollektiven Gedächtnis. Im Mitelpunkt des Gebäudes befindet sich die "galerie des dons" wo dem Museum übergebene Objekte ausgestellt werden - wechselseitiges geben und nehmen finden sich so illustriert. Interaktive "Orientierungstische" mit touch screens geben detaillierte Informationen zu den einzelnen Phänomenen, vor allem zu ihrem historischen Hintergrund. Grossflächigen Fotos oder Videoprojektionen, die die grossen Ereignisse darstellen (Vertreibung, Krieg, Arbeiteraufstand...) stehen kleine, intime Bilder oder bescheidene Alltagsobjekte gegenüber. Ein "Salon" am Ende der Ausstellung bietet Lesematerial, interaktive Einrichtungen, Spiele, Musik und ist als Ort der Begegnung, des Austausches zwischen den Besuchern gedacht.
Ein Museum ohne Sammlung, eine Institution die sich als "Cité" bezeichnet, ein Thema das Polemiken auslöst, welches Publikum will und kann man damit ansprechen? "La cité et ses publics: images, perceptions et évolutions" ist der Titel des Artikels von Fanny SERVOLE. Sie unterstreicht die Imageschwierigkeiten die mehrere Untersuchungen und Befragungen im Vorfeld der Museumseröffnung aufgezeigt haben. Einerseits die Vorstellung, dass Museum mit Vergangenheit gleichzusetzen sei, die negative Besetzung des Themas "Immigration" im aktuellen politischen und Mediendiskurs, die Befürchtung eines spröden Zugangs (zu viel Text), die allgemein fehlende Begeisterung für Gesellschaftsmuseen (im Gegensatz zu Kunstmuseen) etc. zeigen, dass noch viel Informationsarbeit nötig sein wird! Weder regelmässige Museumsbesucher noch solche, denen schon das Wort Museum Schwellenangst einflösst, fühlen sich angesprochen. Immigranten und ihre direkten Nachfahren wollen nicht an vergangenes Leid und aktuelle Probleme erinnert werden, "echte" Franzosen befürchten auf Rassismus und Kolonialismus hingewiesen zu werden. All diese Vorurteile sind noch lange nicht abgebaut und die Besucherzahlen des Museums lassen noch zu wünschen übrig. Eine Öffnung bietet hingegen die Website, die häufig aufgerufen wird und vielleicht auf diesem Wege zur Entdeckung der CNHI beitragen wird.
Auch Deutschland findet im Themenheft Erwähnung, "La signification politique et sociale d'un musée des Migrations en Allemagne". Aytac ERYILMAZ, Vorsitzender des 1990 gegründeten Vereins DOMiT und Ausstellungsmacher zeichnet die grossen Linien der Immigration in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg nach und stellt vor allem die Aktivitäten von DOMiT vor: Aufbau eines Archivs und einer Sammlung zur Immigrationsgeschichte seit den 50er Jahren, die Durchführung von Forschungsprojeken zu diesem Thema; Ausstellungskonzeptionen sowie die Organisation von Tagungen und workshops.
Weitere Artikel: La genèse politique de la Cité (Jacques Toubon); La culture maghrébine en France, à Marseille: entre visible et invisible, entre acceptation et refoulement (Emile Témime); Immigration et droits culturels, reconnaissance politique et acceptation culturelle (Catherine Wihtol de Wenden); Les immigrants portugais et la culture portugaise en France (Marie-Christine Volovitch-Tavres et Dominique Stoenesco); L'ex-palais des Colonies: le poids d'un héritage (Dominique Jarrassé); un lieu de mémoire pour une cité d'histoire (Maureen Murphy); Un creuset d'échanges (Karthika Naïr); La Cité nationale de l'histoire de l'immigration: un lieu et un réseau de partenaires (Agnès Arquez-Roth); La documentation sur l'immigration: du centre des ressources à la médiathèque (Claire Tirefort); La Cité, lieu de transmission et public scolaire (Nathalie Héraud); Le mémorial des Immigrants à Sao Paulo: domaines de recherche et défis pour le XXIsiècle (Ana Maria da Costa Leitao Vieira); Le musée danois de l'immigration à Fureso: l'histoire de l'immigration et la collecte des souvenirs (Cathrine Kyo Hermansen et Thomas Moller); Les musées dédiés aux migrations: le musée portugais de l'Emigration (Maria Beatriz Rocha-Trindade et Miguel Monteiro); Mobiliser les communautés et transmettre leurs histoires: le rôle du musée de l'immigration dans l'une des villes le plus multiculturelles du monde (Padmini Sebastian).
Außerdem interessant: Das Projekt Migration der Kulturstiftung des Bundes und das Museu da Emigração e das Comunidades in Brasilien.
Die Cité wurde schon hier hier für den Museumsblog besucht und auch auf Kulturelle Welten
In seinem Artikel "L'historien dans la Cité: comment concilier histoire et mémoire de l'immigration?" unterstreicht der Historiker und Soziologe Gérard NOIRIEL einen der wesentlichen Grundsätze des neuen Museums: Ziel sei es, die Geschichte der Immigrationund nicht jene der Immigranten darzustellen. Sie soll den Besuchern den historischen Prozess verständlich machen, wie Personen aus allen Weltgegenden integrale Mitglieder der nationalen aktuellen Gesellschaft geworden sind. Man könne nicht einerseits Integration verlangen und gleichzeitig einen Erinnerungskult einzelner Gruppen fördern, der sich auf eine als unveränderlich angesehene "Immigrantenkultur" bezieht. NOIRIEL weiss aber auch aus eigener langjähriger Erfahrung, wie kompliziert die Umsetzung eines solchen Konzeptes sein kann, sind doch Geschichte und Erinnerung oft widersprüchlich...
Hélène LAFONT-COUTURIER, Direktorin der CNHI, beschreibt die Schwierigkeiten eines Museums das a priori ohne Sammlung entstand, "Le musée national de l'histoire de l'immigration: un musée sans collections". Neben Archivalien haben die Konzeptoren des Museums mehrere Themenbereiche gezielt gesammelt: Dinge die man von "hier" nach "dort" mitnimmt; Wissen, know-how, Bildung und Berufserfahrung; Immaterielles "Gepäck" (Gewohnheiten, Einstellungen, Glaubensvorstellungen, Träume, Mythen); individuelle Berichte und Bilddokumente. Einen wichtigen Platz nehmen die Werke zeitgenössischer Künstler ein: neben Installationen die oft komplexe Zusammenhänge veranschaulichen können, sind hier vor allem Fotografen zu nennen, die in Bildserien festhalten was oftmals als Einzelphänomen gesehen wird. Immigranten soll es so möglich werden, eigenes Erleben in einen grösseren Kontext einzuschreiben.
"Comment concilier l'inconcliable: la place de l'ethnologue dans le musée de la Cité nationale de l'histoire de l'immigration", wie kann man Unvereinbares vereinbaren, fragt Fabrice GROGNET und meint damit die Verbindung von Ethnologie und Geschichte im musealen Kontext. Er erwartet sich von der neuen Institution einen Dialog zwischen Vergangenheit und Aktualität in Sammlungspraxis und Ausstellungspolitik.
Die konkrete Umsetzung des Museumskonzeptes ist der Inhalt des Beitrages von Pascal PAYEUR und Lydia ELHADAD, "Repères, une exposition permanente, deux cents ans d'histoire de l'immigration". Das Ziel, den Besucher in die Geschichte der Immigration einzubinden, kollektives Geschick and individuelles zu binden, setzen sie in einem offenen Parcours um, der eine Abfolge von emotionellen und pädagogischen Erlebnissen vorsieht, in die der Besucher förmlich "eintauchen" soll. Angeregt durch Jacques Hainards Postulat, dass eine "Ausstellung ein intensives Erlebnis einer kollektiven Erfahrung" sein sollte, stellen Bilder, Installationen, Stimmen, Lebensfragmente den Einstieg dar. Einzelschicksale verbinden sich zum kollektiven Gedächtnis. Im Mitelpunkt des Gebäudes befindet sich die "galerie des dons" wo dem Museum übergebene Objekte ausgestellt werden - wechselseitiges geben und nehmen finden sich so illustriert. Interaktive "Orientierungstische" mit touch screens geben detaillierte Informationen zu den einzelnen Phänomenen, vor allem zu ihrem historischen Hintergrund. Grossflächigen Fotos oder Videoprojektionen, die die grossen Ereignisse darstellen (Vertreibung, Krieg, Arbeiteraufstand...) stehen kleine, intime Bilder oder bescheidene Alltagsobjekte gegenüber. Ein "Salon" am Ende der Ausstellung bietet Lesematerial, interaktive Einrichtungen, Spiele, Musik und ist als Ort der Begegnung, des Austausches zwischen den Besuchern gedacht.
Ein Museum ohne Sammlung, eine Institution die sich als "Cité" bezeichnet, ein Thema das Polemiken auslöst, welches Publikum will und kann man damit ansprechen? "La cité et ses publics: images, perceptions et évolutions" ist der Titel des Artikels von Fanny SERVOLE. Sie unterstreicht die Imageschwierigkeiten die mehrere Untersuchungen und Befragungen im Vorfeld der Museumseröffnung aufgezeigt haben. Einerseits die Vorstellung, dass Museum mit Vergangenheit gleichzusetzen sei, die negative Besetzung des Themas "Immigration" im aktuellen politischen und Mediendiskurs, die Befürchtung eines spröden Zugangs (zu viel Text), die allgemein fehlende Begeisterung für Gesellschaftsmuseen (im Gegensatz zu Kunstmuseen) etc. zeigen, dass noch viel Informationsarbeit nötig sein wird! Weder regelmässige Museumsbesucher noch solche, denen schon das Wort Museum Schwellenangst einflösst, fühlen sich angesprochen. Immigranten und ihre direkten Nachfahren wollen nicht an vergangenes Leid und aktuelle Probleme erinnert werden, "echte" Franzosen befürchten auf Rassismus und Kolonialismus hingewiesen zu werden. All diese Vorurteile sind noch lange nicht abgebaut und die Besucherzahlen des Museums lassen noch zu wünschen übrig. Eine Öffnung bietet hingegen die Website, die häufig aufgerufen wird und vielleicht auf diesem Wege zur Entdeckung der CNHI beitragen wird.
Auch Deutschland findet im Themenheft Erwähnung, "La signification politique et sociale d'un musée des Migrations en Allemagne". Aytac ERYILMAZ, Vorsitzender des 1990 gegründeten Vereins DOMiT und Ausstellungsmacher zeichnet die grossen Linien der Immigration in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg nach und stellt vor allem die Aktivitäten von DOMiT vor: Aufbau eines Archivs und einer Sammlung zur Immigrationsgeschichte seit den 50er Jahren, die Durchführung von Forschungsprojeken zu diesem Thema; Ausstellungskonzeptionen sowie die Organisation von Tagungen und workshops.
Weitere Artikel: La genèse politique de la Cité (Jacques Toubon); La culture maghrébine en France, à Marseille: entre visible et invisible, entre acceptation et refoulement (Emile Témime); Immigration et droits culturels, reconnaissance politique et acceptation culturelle (Catherine Wihtol de Wenden); Les immigrants portugais et la culture portugaise en France (Marie-Christine Volovitch-Tavres et Dominique Stoenesco); L'ex-palais des Colonies: le poids d'un héritage (Dominique Jarrassé); un lieu de mémoire pour une cité d'histoire (Maureen Murphy); Un creuset d'échanges (Karthika Naïr); La Cité nationale de l'histoire de l'immigration: un lieu et un réseau de partenaires (Agnès Arquez-Roth); La documentation sur l'immigration: du centre des ressources à la médiathèque (Claire Tirefort); La Cité, lieu de transmission et public scolaire (Nathalie Héraud); Le mémorial des Immigrants à Sao Paulo: domaines de recherche et défis pour le XXIsiècle (Ana Maria da Costa Leitao Vieira); Le musée danois de l'immigration à Fureso: l'histoire de l'immigration et la collecte des souvenirs (Cathrine Kyo Hermansen et Thomas Moller); Les musées dédiés aux migrations: le musée portugais de l'Emigration (Maria Beatriz Rocha-Trindade et Miguel Monteiro); Mobiliser les communautés et transmettre leurs histoires: le rôle du musée de l'immigration dans l'une des villes le plus multiculturelles du monde (Padmini Sebastian).
Außerdem interessant: Das Projekt Migration der Kulturstiftung des Bundes und das Museu da Emigração e das Comunidades in Brasilien.
Die Cité wurde schon hier hier für den Museumsblog besucht und auch auf Kulturelle Welten
Labels: Frankreich, Literatur, Migration, Museologie
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
<< Home