25.4.07

Die Fäden des Vorgängers

Welche Objekte sind für ein kulturhistorisches Museum wichtig, bilden sozusagen seinen Kern? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Ausstellung in Marseille, die zugleich Appetit auf's Ganze machen soll. "Trésors du quotidien" zeigt 350 Objekte aus der Sammlung der über einer Million Objekte, die das Musée du national des Arts et traditions populaires (Atp) seit 1937 zusammengetragen hat und die den Grundstock des Mucem, des Musée des civilisations de l'Europe et de la Méditerranée in Marseille bilden. Während an dem von Rudy Ricciotti entworfenen Bau am Alten Hafen noch gearbeitet wird (die Eröffnung ist für 2011 vorgesehen), ist die ebenfalls zum Museumskomplex gehörende Kaserne aus dem 19. Jahrhundert für Wechselausstellungen bereit. Sie ist übrigens nach dem Gründer des Atp, Georges Henri Rivière benannt - was manche nicht für ein gutes Omen halten.
Die "Schätze des Alltags" sind in die drei Bereiche Zweckmäßigkeit, Unterschied und Weitergabe unterteilt. Die Geschichte hinter den alltäglichen Objekten erschließt sich für den Besucher mit Hilfe eines Audioguides. Die Schätze des Alltags sollen helfen, so das Mucem, die Welt zu verstehen. Dazu Michel Colardelle, Direktor des Mucem und Kurator der Ausstellung: "Es ist unmöglich, von Kultur zu reden, ohne von der Zeit, also von Geschichte zu sprechen". Aber genau darin sieht der Kritiker von Le Monde, Emmanuel de Roux, der schon jahrelang die Geschichte der Institution verfolgt, das Problem: Er wirft der Ausstellung vor, denselben Fehler zu reproduzieren, den schon Rivière im ATP begangen hätte. Rivière hatte für die ländliche Kultur Frankreichs eine eingängige Museographie entwickelt, in der die Objekte losgelöst von Zeit und Raum zumeist an Nylonfäden schwebten. Damals wie nun heute in Marseille würde der soziale und historische Kontext nicht berücksichtigt, so de Roux. Die Meinung teile ich für Paris nicht ganz, gab es im Atp doch viele Themen, die in Zeit und Raum verortbar waren. De Roux ist über die erste Ausstellung des Mucem in Marseille enttäuscht. Bis zum 24. September bleibt Zeit, sich selbst vor Ort ein Bild zu machen.
Die Ausstellung, gesehen von Anne-Marie Romero in Le Figaro.fr. madame
Die Ausstellung via Kulturelle Welten.

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