Noch ein neues Museum in Paris
Am schulfreien Mittwoch sieht man am Rande des Bois de Boulogne die Au-pair-Mädchen mit den ihnen anvertrauten Kindern hinschlendern. Vor dem Eingangsportal warten bereits Busse, die Kinder aus den Vororten für einen Nachmittag im Freizeitpark Jardin d'Acclimatation herangekarrt haben: Hier im Jardin d'Acclimatation, vor den Toren von Paris, möchte die Fondation Louis Vuitton ein neues Forum für zeitgenössische Kunst schaffen. Für das Gebäude wurde der amerikanische Architekt Frank Gehry gewonnen, der mit einer Art Wolke den ersten Entwurf vorgelegt hat.
Ursprünglich war der Jardin d'Acclimatation ein Zoo: 1860 unter Napoleon III. eingeweiht, präsentierte hier eine zoologische Gesellschaft exotische Tiere wie Giraffe, Bären und Kamele. Bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870 wurde der Zoo geschlossen. Viele Tiere wurden evakuiert, die anderen während der deutschen Belagerung im Winter 1870/71 von der hungrigen Pariser Bevölkerung aufgegessen. Um nach dem Krieg wieder die Massen anzulocken und um die verlorenen Tiere zu ersetzen, setzte Zoodirektor Albert Geoffroy Saint-Hilaire nun auf sogenannte ethnographische Ausstellungen. Konkret hieß das Menschen ausstellen; das Prinzip war schon während der Weltausstellungen salonfähig gemacht worden. Nun bewunderten Bürger neben exotischen Tieren Menschengruppen die "Wilden" wie "Nubier", "Lappen", oder "Rothäute". Es entstand ein regelrechter Menschenhandel, da findige europäische Organisatoren den Austausch zwischen den europäischen Metropolen mit ähnlichen Etablissements koordinierten.
Als das Interesse etwas erlosch, verwandelte sich der Jardin um die Jahrhundertwende in ein Gelände für die Familie, das nicht nur Amusement, sondern auch Belehrung bieten wollte, mit Vorträgen über Hygiene oder Medizin, Reiseberichte oder open-air-Kino, aber auch Karussels für Kinder. 1952 erfolgte eine weitere Umorienierung in einen Freizeitpark, mit kleinen Attraktionen wie einer kleinen Bimmelbahn. Auf Tiere wurde nun fast gänzlich verzichtet, stattdessen werden die Guignols etabliert, ein festes Kasperletheater.
1954 überließ die Stadt Paris dem Staat das Palmarium aus dem Jahre 1910, um hier das nationale volkskundliche Museum zu erbauen. Georges Henri Rivière, dessen Gründer, ließ ein damals ultramodernes Gebäude errichten, das in den 1960er Jahren eröffnet wurde und das weit über die Baumkronen des Bois de Boulogne ragt. Geplant war auch, analog zum Nordiska Museet in Stockholm, im Jardin d'Acclimatation ein Freilichtmuseum zu errichten. Das hat aber nie geklappt. Heute steht das Gebäude leer, da das gesamte Museum nach Marseille umzieht und zum Musée des civilisations de l'Europe et de la Méditerranée (MUCEM) wird. Aber das ist eine andere Geschichte.
In Paris wurde die Ankündigung von Bernard Arnault, dem Präsident der Firmengruppe von Louis Vuitton, mit Verwunderung aufgenommen, wie die Liberation schreibt. Denn angeblich soll das neue Museum die Sammlung von M. Arnault aufnehmen - aber keiner weiß Bescheid, um welche Werke es sich dabei überhaupt handelt. Er hat es aber auf jeden Fall geschafft, sich in Paris zu etablieren, anders als sein Konkurrent François Pinault, der auf der Seine Insel bei Paris in Boulogne-Bilancourt seine zeitgenössische Sammlung ausstellen wollte, aber sich nicht mit der Stadtverwaltung einigen konnte und deswegen entnervt mitsamt seiner Sammlung nach Venedig ging. (Aber dafür auf Platz 1 steht, siehe Beitrag vom 3.11.2006)
Nebenbei bemerkt, hat Lyon schon eher als die Hauptstadt auf die Wolke gesetzt: Dort entsteht das Musée des Confluences, das auf der naturwissenschaftlichen Sammlung der Stadt beruht und sich künftig mehr aktuellen kulturellen und sozialen Fragen der Gesellschaft widmen will. Das Gebäude, das aussieht wie eine asymmetrische Wolke auf Beinen, wurde von der österreichischen Architektengruppe Coop Himmelb(l)au erdacht und wird gerade erbaut. Dazu steht ein Artikel in der NZZ online.
Und hier kann man - auf französisch - über die Geschichte der Menschenausstellungen im Jardin d'Acclimatation lesen und weiterführende Literatur finden.
Ursprünglich war der Jardin d'Acclimatation ein Zoo: 1860 unter Napoleon III. eingeweiht, präsentierte hier eine zoologische Gesellschaft exotische Tiere wie Giraffe, Bären und Kamele. Bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870 wurde der Zoo geschlossen. Viele Tiere wurden evakuiert, die anderen während der deutschen Belagerung im Winter 1870/71 von der hungrigen Pariser Bevölkerung aufgegessen. Um nach dem Krieg wieder die Massen anzulocken und um die verlorenen Tiere zu ersetzen, setzte Zoodirektor Albert Geoffroy Saint-Hilaire nun auf sogenannte ethnographische Ausstellungen. Konkret hieß das Menschen ausstellen; das Prinzip war schon während der Weltausstellungen salonfähig gemacht worden. Nun bewunderten Bürger neben exotischen Tieren Menschengruppen die "Wilden" wie "Nubier", "Lappen", oder "Rothäute". Es entstand ein regelrechter Menschenhandel, da findige europäische Organisatoren den Austausch zwischen den europäischen Metropolen mit ähnlichen Etablissements koordinierten.
Als das Interesse etwas erlosch, verwandelte sich der Jardin um die Jahrhundertwende in ein Gelände für die Familie, das nicht nur Amusement, sondern auch Belehrung bieten wollte, mit Vorträgen über Hygiene oder Medizin, Reiseberichte oder open-air-Kino, aber auch Karussels für Kinder. 1952 erfolgte eine weitere Umorienierung in einen Freizeitpark, mit kleinen Attraktionen wie einer kleinen Bimmelbahn. Auf Tiere wurde nun fast gänzlich verzichtet, stattdessen werden die Guignols etabliert, ein festes Kasperletheater.
1954 überließ die Stadt Paris dem Staat das Palmarium aus dem Jahre 1910, um hier das nationale volkskundliche Museum zu erbauen. Georges Henri Rivière, dessen Gründer, ließ ein damals ultramodernes Gebäude errichten, das in den 1960er Jahren eröffnet wurde und das weit über die Baumkronen des Bois de Boulogne ragt. Geplant war auch, analog zum Nordiska Museet in Stockholm, im Jardin d'Acclimatation ein Freilichtmuseum zu errichten. Das hat aber nie geklappt. Heute steht das Gebäude leer, da das gesamte Museum nach Marseille umzieht und zum Musée des civilisations de l'Europe et de la Méditerranée (MUCEM) wird. Aber das ist eine andere Geschichte.
In Paris wurde die Ankündigung von Bernard Arnault, dem Präsident der Firmengruppe von Louis Vuitton, mit Verwunderung aufgenommen, wie die Liberation schreibt. Denn angeblich soll das neue Museum die Sammlung von M. Arnault aufnehmen - aber keiner weiß Bescheid, um welche Werke es sich dabei überhaupt handelt. Er hat es aber auf jeden Fall geschafft, sich in Paris zu etablieren, anders als sein Konkurrent François Pinault, der auf der Seine Insel bei Paris in Boulogne-Bilancourt seine zeitgenössische Sammlung ausstellen wollte, aber sich nicht mit der Stadtverwaltung einigen konnte und deswegen entnervt mitsamt seiner Sammlung nach Venedig ging. (Aber dafür auf Platz 1 steht, siehe Beitrag vom 3.11.2006)
Nebenbei bemerkt, hat Lyon schon eher als die Hauptstadt auf die Wolke gesetzt: Dort entsteht das Musée des Confluences, das auf der naturwissenschaftlichen Sammlung der Stadt beruht und sich künftig mehr aktuellen kulturellen und sozialen Fragen der Gesellschaft widmen will. Das Gebäude, das aussieht wie eine asymmetrische Wolke auf Beinen, wurde von der österreichischen Architektengruppe Coop Himmelb(l)au erdacht und wird gerade erbaut. Dazu steht ein Artikel in der NZZ online.
Und hier kann man - auf französisch - über die Geschichte der Menschenausstellungen im Jardin d'Acclimatation lesen und weiterführende Literatur finden.
Labels: Frankreich
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